Was will Heidelberg: Ein Poller- oder ein Verkehrsberuhigung-Konzept?

16.7.2017  ak   Angekündigt und gestartet wurde das Projekt „Verkehrsberuhigung Altstadt“ mit einem umfassenden Auftrag. Thomas Odszuck, der Erste Bürgermeister, hat dem Arbeitskreis, der eine Gemeinderatsentscheidung vorbereiten soll, ausdrücklich freie Hand eingeräumt. Alle Themen sollen diskutiert werden dürfen, die einer umfassenden Verkehrsberuhigung in der Altstadt dienlich sind. Bereits bei der öffentlichen Auftaktsitzung kam die anders gerichte Intention der Organisatoren zum Ausdruck. Dort durfte der „Pollerbeauftragte“ der Stadt Salzburg und die für Verkehrsberuhigung in Aachen zuständige Mitarbeiterin referieren, die für eine moderate Verpollerung steht.

In der ersten Arbeitskreis-Sitzung am 1. Juni 2017 wurde die Diskussion von der externen Moderation und der Projektleitung vom Heidelberger Amt für Verkehrsmanagement, ebenfalls mehr oder weniger sanft auf zwei Fragen gelenkt: Wo sollen die Poller aufgestellt werden? Und: Welcher Paket-Dienstleister kommt bei der „City-Logistik“ zum Zuge – DHL oder UPS oder beide? Aus der Mitte des 42-köpfigen Arbeitskreises, dem auch drei Bürger aus der Altstadt und zwei weitere aus anderen Stadtteilen angehören, wurde dann jedoch vernehmlich die Forderung angemeldet, dass auch über den ruhenden Verkehr diskutiert werden soll und dass auch die Bundesstraße B37 einbezogen werden soll - sie führt direkt am Neckar entlang.

Drei Dinge wurden von Seite des Autors dieses Artikel am Ende der Arbeitskreis-Sitzung angekündigt: die Einrichtung eine privat organisierten elektronischen Plattform, auf der die Arbeitsergebnisse des Arbeitskreises gesammelt werden können und die Organisation von Exkursionen nach Utrecht, Tübingen und Konstanz, da diese Gemeinden den gleichen Herausforderungen gegenüberstehen, jedoch daran bereits seit 20 Jahren arbeiten. Als Drittes wurde dazu aufgerufen, einen weiteren externen Sachverständigen zu verpflichten, der die Arbeitsgruppe auf konzeptioneller Seite beraten soll. Inzwischen wurde vom Berliner Institut für Urbanistik die Darmstädter Städteplanerin Stete als geeignete externe Expertin vorgeschlagen. Sie hat umfangreiche Erfahrung mit dem korrespondierenden Projekt in Konstanz und kennt sich exzellent mit den Herausforderungen in Heidelberg aus. Darüber hinaus kennt sie die wesentlichen
Projektbeteiligten aus zurückliegenden Projekten persönlich.

Zur City-Logistik: Zum „Beteiligungsgegenstand“ des Projekts zählt ganz offiziell ein „City-Logistik-Konzept“, mit dem der stark wachsende Bedarf an der Zustellung von Paketen in geordnete Bahnen gelenkt werden soll. Hierzu hat die Rhein-Neckar-Zeitung in ihrer Ausgabe vom 31. Mai süffisant anmerkt, dass ein solches Konzept in den 90er Jahres des vergangenen Jahrhunderts sowohl in Salzburg als auch in Aachen gescheitert sei. Nun: In Wikipedia lässt sich dazu im Artikel „Stadt der Zukunft“ nachlesen, dass solche Konzepte in den 90er Jahren reihenweise gescheitert sind, bzw. lediglich diskutiert wurden, jedoch die Grundidee nicht umgesetzt werden konnte – mit den damals verfügbaren Mitteln.

Heute ist es anders und in Hamburg, Berlin, Frankfurt, Offenbach, Darmstadt, Tübingen, Konstanz, Stuttgart, etc. gibt es Dutzende solcher Konzepte, die zum Teil bereits seit Jahren erfolgreich getestet werden bzw. die Pilot-Phase schon hinter sich haben. In Amsterdam fahren Elektro-LKW die Waren zu den Einzelhändlern und in Utrecht gibt es ein City-Logistik-Konzept mit Warenverteilzentren, sogenannten Micro-Hubs, an denen sich die eLastenräder ihren Paket-Nachschub holen, um ihn an die Kunden auszuliefern. In Heidelberg haben bereits sehr viel Bürger vom Konzept gehört, das in Kopenhagen durch den Architekten und Stadtplaner Jan Gehl in jahrzehntelanger Kleinarbeit vorangetrieben wurde. Dort setzt die Stadtverwaltung auf eine klare Vorrangregelung für den Fahrrad-Verkehr. Für die Kopenhagener ist es schlicht die beste Möglichkeit, vernünftig in die Stadt zu kommen. Was sie dabei zusätzlich entdeckt haben, ist eine neue Liebe zur Stadtlandschaft. Plötzlich war es möglich, überall anzuhalten; schließlich braucht ein Fahrrad nur wenig Parkraum und ein Ausscheren aus dem fließenden Verkehr ist problemlos möglich. Ein Umstand, den auch die Kopenhagener Einzelhändler und Kneipen-Besitzer überaus wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Die Stadt  Kopenhagen gilt als Blaupause für ein die individuelle Zufriedenheit positiv beeinflussendes urbanes Lebensgefühls. Die Stadt ist den Bürgern zum Leben und Wohlfühlen zurückgegeben worden. Und diese Kopenhagener Erkenntnisse werden in diesen Tagen von Städten wie zum Beispiel Frankfurt aufgenommen: Mit dem Fahrrad kommt man schlicht schneller zu seinen innerstädtischen Zielen.

Was die Einzelhändler angeht, muss man gar nicht so weit blicken. In Tübingen gibt es ein junges Unternehmen, das Einzelhändler unterstützt, die Abwanderung ihrer Kunden in Richtung Amazon, Ebay und Zalando aufzuhalten. Dort kann man/frau in Ruhe (mit dem Fahrrad oder zu Fuß) einkaufen und die schweren Einkäufe werden am gleichen Tag mit einem eLastenrad-Service (innerhalb des Stadtgebiets) zu Hause angeliefert. Die Idee hat sich bereits in sechs weiteren Städten durchgesetzt und insgesamt 40 weitere Kommunen sind brennend daran interessiert, einen solchen Service zu etablieren. Die Stadt Konstanz ist wie Heidelberg eine sehr alte Stadt mit ähnlich engen Gassen. Auch dort wird an City-Logistik-Ideen gearbeitet. Die Herausforderungen sind absolut vergleichbar mit unseren. Wir Heidelberger sollten uns diese Beispiele anschauen, bevor wir uns auf „Lösungen“ festlegen.

In einer Stadt wie Heidelberg, die einen, verglichen mit dem Bundesdurchschnitt doppelt so hohen Akademikeranteil hat, kommt einiges zusammen an intellektuellem Potential. Dieses Potential gilt es zu nutzen und auf die Fragestellungen zu fokussieren, die zur Entscheidung anstehen, zumal uns diese Entscheidungen auf Jahrzehnte binden werden. Dieses Potential ist zugleich auch Verpflichtung. Der Bürgerschaft von Heidelberg kommt eine beispielgebende Rolle zu in der derzeit beschleunigt stattfindenden Transformations-Diskussion. Die Heidelberger haben einen extrem hohen Anspruch und eine führende Rolle in der nachhaltigen Umgestaltung der Stadt-Infrastruktur. Diesem Anspruch können und sollten wir genügen, auch im Projekt Verkehrsberuhigung Altstadt.

Albrecht Kern, der Autor dieses Beitrags, ist Mitglied im VCD und bei Bündnis 90/Die Grünen. Er sitzt als einer von fünf Bürgervertreter im Arbeitskreis zum Projekt „Verkehrsberuhigung Altstadt“ und vertritt den Stadtteil Handschuhsheim, als einer von zwei Bürgervertreter außerhalb der Altstadt.

16.07.2017 - 11:30