Besorgte Bürger*innen in HD: Offener Brief an die hiesigen Bundestagsabgeordneten und Parteien - deutsche Friedenspolitik: Wo bleibt die öffentliche Debatte in Heidelberg?
Heidelberg, im April 2022
Offener Brief an die hiesigen Bundestagsabgeordneten und Parteien - Krieg in der Ukraine, deutscher Militärhaushalt und deutsche Friedenspolitik: Wo bleibt die öffentliche Debatte in Heidelberg?
Sehr geehrte Mandatsträger*innen und Vertreter*innen der Parteien,
der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns, die Unterzeichner*innen dieses Briefes, erschüttert. Unser politischer Verstand sagt uns aber, dass wir den „Schockzustand“ dringend verlassen und eine öffentliche Debatte über die notwendigen politischen Schritte führen müssen. Nicht nur in Talkshows und im Bundestag. Die anstehenden politischen Entscheidungen, sollten sie im Ergebnis zur weiteren militärischen Aufrüstung führen, lehnen wir entschieden ab.
Wir fordern deshalb von Ihnen als Mandatsträger*innen des hiesigen Wahlkreises und als Parteien, die im Bundestag vertreten sind, dass Sie zu öffentlichen Diskussionen hier in Heidelberg einladen. Und zwar zeitig, bevor im Bundestag im Mai 2022 der sehr weitgehende Beschluss über die Aufrüstung der Bundeswehr beraten und entschieden wird. Denn dieser Krieg hat auch seine Vorgeschichte, an der sehr viele Konfliktpartner beteiligt waren. All das muss bei einer öffentlichen Debatte auf den Tisch, will man eine echte zivile Lösung erreichen.
Es geht nicht nur um über 100 Milliarden Euro zur militärischen Aufrüstung. Es geht um nichts weniger als um eine mehrfache Bedrohung unseres Planeten: Zur Klimakrise kommt nun noch ein weiterer militärischer Großkonflikt zu den bereits laufenden Kriegen hinzu. Selbst wenn kriegerisch ausgetragene politische Konflikte „nur“ militärisch konventionell geführt werden, haben sie erhebliche, zerstörerische Auswirkungen auf die Umwelt, das Klima und auf soziale Lebensverhältnisse. Das muss genauso verhindert werden wie eine drohende atomare, militärische Auseinandersetzung. Hier gäbe es überhaupt keine „Gewinner*innen“ mehr.
Wir appellieren an Sie als unsere Volksvertreter*innen:
Besinnen Sie sich u.a. auf die zivilen Traditionen in Ihren Parteien. Z.B. auf die Ostpolitik unter Führung von Bundeskanzler Willy Brandt oder auf das SPD Parteiprogramm von 1990, wo von einer neuen Sicherheitsarchitektur in ganz Europa inkl. der damaligen Sowjetunion die Rede ist, und auf die Friedens- und Sicherheitskonzepte der ehemaligen grünen Basisbewegung der 80er Jahre. Diese Konzepte sind heute aktueller denn je im Sinne einer konstruktiven Diskussionsgrundlage.
Eine sonst drohende große Klima- und Wirtschaftskrise mit dramatischen Folgen nicht nur für uns, sondern vor allem für Länder des sogenannten „globalen Südens“ muss unbedingt verhindert werden. Militärische Strategien und Maßnahmen waren noch nie eine zielführende Option und werden es nie sein. Sie müssen aus der internationalen Politik ersatzlos gestrichen werden. Ebenso sogenannte Wirtschaftskriege (Sanktionen), vor allem wenn sie Zivilisten treffen. Auch das ist unter ethischen Gesichtspunkten abzulehnen. Wir hoffen auf Ihre Antwort und auf eine baldige Einladung zur öffentlichen politischen Debatte möglichst noch in diesem Monat, bevor weitreichende Entscheidungen im Bundestag getroffen werden.
Freundliche Grüße
Roswitha Claus, Wolfgang Gallfuß, Claudia Köber, Melanie Steiert, Friedbert Boxberger, Christine Weber, Klaus Thiery, Fabian Peter, Anton Stumpf, Karin Weber, Hartmut Finkenbrink, Regina Billaudelle, Annette Vogel, Ulrike Gartung, Werner Gartung
Besorgte Bürger*innen in Heidelberg
c/o Roswitha Claus
Max-Wolf-Straße 15, 69120 Heidelberg
Tel: 06221-165265
Mail: hd@roswithaclaus.de
Anlage
Was bewegt uns zu dieser Initiative?
Wir sind eine Gruppe von Heidelberger*innen, die sich in der Vergangenheit für städtische Klimaschutzmaßnahmen einsetzte, vor allem im Kontext der Stadtentwicklung.
Wir alle wollen Frieden, in der Ukraine sowie in allen Teilen dieser Welt. Der Weg dorthin, den wir derzeit hier in Deutschland bisher vor allem als militärische Aufrüstung wahrnehmen, bereitet uns die allergrößten Sorgen im Hinblick darauf, dass sich dadurch der Krieg nur noch weiter in die Länge zieht
mit extrem unmenschlichen, klimatischen und sozialen Folgen.
Der Krieg in der Ukraine, aber nicht nur dieser, verschärft die Klimaproblematik, treibt Menschen zur Flucht, verschärft menschliches Elend und Hungersnot. Eine militärische Eskalation zwischen den Großmächten USA, bzw. NATO und Russland würde zu einem weltvernichtenden Flächenbrand ausarten. Die Klimaproblematik wäre damit auch abschließend erledigt: Die zynischste Lösung der Klimakatastrophe! Sie muss unbedingt und mit allen zur Verfügung stehenden zivilen Mitteln verhindert werden!
Von diesem Krieg, wie auch von allen anderen Kriegen, profitieren nur wenige und bestimmt nicht die Völker dieser Welt. Sie profitieren auch nicht von der massiven Aufrüstung, die derzeit weltweit vorangetrieben wird, besonders stark in Deutschland.
Wir haben auf dem Planeten Erde nur dann eine Überlebenschance, wenn als wichtigste Aufgabe die Lösung der Klimakrise auf der politischen Tagesordnung steht und nicht militärische Aufrüstung zur Sicherung geostrategischer Interessen. Das lenkt nicht nur vom Hauptproblem ab, es verschärft die Klimakatastrophe zusätzlich und unmittelbar.
Die uns bekannte deutsche Regierungspolitik setzt seit Kriegsbeginn vor allem auf das Militärische. Über Nacht verkündet der Bundeskanzler die größte Aufrüstung aller Zeiten im Nachkriegsdeutschland, ohne eine vorherige öffentliche Diskussion oder Beratung im Bundestag. Ein unter demokratischen Gesichtspunkten unerträglicher politischer Vorgang.
Wenn 100 Milliarden Euro zusätzlich ausgegeben werden sollen, dann sinnvollerweise natürlich nur für zivile Maßnahmen wie z.B. gegen die Klimakatastrophe. Diese Forderung scheiterte aber noch vor kurzem wegen finanzpolitischer Vorbehalte. Die Aufrüstung muss verhindert werden, ebenso Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.
Wir fordern die deutsche Politik auf, alles auf eine zivile Verhandlungslösung zu setzen.
Diese Lösung erfordert eine neue gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur, in der die Sicherheitsinteressen aller europäischen Staaten, also auch die von Russland, in ziviler Weise berücksichtigt werden. Militärische und atomare Abrüstung schaffen hierfür den notwendigen politischen Spielraum. Die dadurch frei werdenden Ressourcen müssen für eine nachhaltig wirkende Klimaschutz- und Energiepartnerschaft in der Welt eingesetzt werden. Russland muss eine solche umfassende Sicherheitspartnerschaft angeboten werden, wenn ein Rückzug von Russland aus der Ukraine erfolgt.
Gesellschaftliche Brücken auch in Kriegszeiten erhalten!
Die vielen gesellschaftlichen Kontakte in Deutschland zur russischen Kultur, in der Wissenschaft, zwischen Schulen, Städten usw. müssen unbedingt erhalten bleiben. Gerade in konfliktträchtigen Zeiten bedarf es mehr solcher Kontakte und nicht weniger. Heidelberg soll seine Städtepartnerschaft zu Simferopol nutzen, um diese notwendige gesellschaftliche Brücke zu erhalten. Der Abbruch dieser Brücke wäre kontraproduktiv.