HD BfgW: Offener Brief an MdB Dr. Brantner

24.9.2022   Sehr geehrte Frau Dr. Brantner,
der Bundestag bereitet die Ratifizierung des „Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens“ (CETA) mit Kanada vor. Wir, das Heidelberger Bündnis für gerechten Welthandel, wissen, dass Sie an den jüngsten Verhandlungen zur Interpretation des Abkommens maßgeblich beteiligt waren. Sind Sie nun mit dem Abkommen im Ganzen so einverstanden, dass Sie für seine Ratifizierung stimmen
werden?

– Was bedeutet Ihnen das Urteil Ihres Fraktionskollegen Karl Bär und der ehemaligen Vorsitzenden der kanadischen Grünen, Elizabeth May, dass CETA einer vergangenen Epoche angehört? Weil die privaten Interessen von Kapitalbesitzern vor einem internationalen Schiedsgericht eingeklagt werden können, die Interessen des Gemeinwohls – Klima und Umwelt, Arbeitsbedingungen – aber nicht.

– Was bedeutet Ihnen die Tatsache, dass die Gruppe der deutschen Grünen, eine Enthaltung ausgenommen, CETA im Europaparlament abgelehnt hat?

– Was bedeutet es für Sie, dass Bündnis 90/Die Grünen in seinem Wahlprogramm von 2021 geschrieben hat: „Das CETA-Abkommen werden wir deshalb in seiner jetzigen Fassung nicht ratifizieren. Wir werden so sicherstellen, dass die gefährlichen Investor-Staat-Schiedsgerichte nicht zur Anwendung kommen.“ Es ist wohl unstrittig, dass die jetzt verhandelte Interpretationserklärung nichts an den Vertragsbestimmungen von CETA ändert.

1. Diese Ablehnungen sind nicht aus der Luft gegriffen. Wie Sie wissen, beruht ja selbst der Handelsteil von CETA auf dem bald 30 Jahre alten GATT-Vertrag und den anschließenden Verträgen wie dem über gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen (SPS). Diese Verträge zielen darauf ab, den internationalen Handel zu steigern. Deshalb gelten Maßnahmen eines Importlandes zum Schutz von Gesundheit und Umwelt als Handelshindernisse; das wurde in der Vergangenheit am Fall des Hormonfleisches durchgestritten, bei dem die Hormonfleisch ablehnende EU verlor. Solche Maßnahmen werden nur dann erlaubt, wenn das Importland nachweisen kann, dass es sich damit keine „ungerechtfertigten“ Handelsvorteile verschaffen will. – Der grundlegende Konflikt besteht darin, dass das im Lissabon-Vertrag der EU allgemein festgelegte Vorsorgeprinzip in GATT gar nicht und in CETA nur für Umweltfragen akzeptiert ist, also nicht z. B. für die Einfuhr von genveränderten Organismen oder von Pestiziden.

2. Wie halten Sie es mit dem Recht der Parlamente, dem Europäischen und dem der Länderparlamente? Da geht es um nichts weniger als um die Macht der Vertretung des Souveräns. CETA setzt aber eine Reihe von europäisch-kanadischen Ausschüssen ein, in denen Beamte der EU-Kommission und des kanadischen Wirtschaftsministeriums Beschlüsse beispielsweise zum CETA-Kapitel zum Arbeitsrecht fassen können. Auf Seiten der EU befasst sich nur der Rat der Mitgliedstaaten – vorbereitend und prüfend – mit den Entscheidungen der CETA-Ausschüsse, das Europäische Parlament wird lediglich informiert. Angesichts dessen befremdet es uns, dass auch in der Interpretationserklärung, die uns nur durch eine Indiskretion bekannt wurde, am Schluss noch einmal die Beteiligung der Mitgliedstaaten an sie betreffenden Beschlüssen gefordert wird, nicht aber die „Entscheidungskompetenz“ der Parlamente. Genau diese verlangte aber die Schlussbemerkung des Entwurfs für das Ratifizierungsgesetz. – Obwohl es also um die Setzung von internationalem Recht geht, das sowohl für das Europarecht wie für nationales Recht bindend sein wird, konnte die Beteiligung der Parlamente in den Verhandlungen zur Interpretation von CETA nicht durchgesetzt werden.

3. Und dann der Investitionsgerichtshof. Im Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Japan (EPA/JEFTA) kommt er nicht vor, weil Japan darauf bestand, Schiedsgerichte alten Typs mit der Durchsetzung des Investorenschutzes zu betrauen. EPA wurde trotzdem geschlossen, ohne dass irgend ein Schiedsgericht eingesetzt wurde. Wie soll das nicht die Auffassung der CETA-Kritiker bestätigen, dass der Gerichtshof überflüssig ist? – Er wird in Konflikten zwischen den Privatinteressen der Investoren und den Gemeinwohlinteressen der Staaten abzuwägen haben, aber voraussichtlich mit Fachjuristen für Internationales Investitionsrecht, nicht aber mit Spezialisten für Internationales Umweltrecht oder für Menschenrechte besetzt werden.

4. Mit den Verhandlungen über eine Interpretationserklärung wollte die Bundesregierung „den Investitionsschutz auf direkte Enteignungen und Diskriminierungen konzentrieren“. Wenn „konzentrieren“ so viel wie „reduzieren“ heißt, ist ihr das nicht gelungen. Denn auch die Interpretationserklärung erlaubt den Kapitaleignern, die Staaten zu verklagen, weil sie sich für unfair von ihnen behandelt oder indirekt enteignet halten. Nur soll der Sinn dieser Bestimmungen präzisiert werden. Die unfaire Behandlung soll dem CETA-Text zufolge nicht nur in Diskriminierungen bestehen, sondern z. B. auch darin, dass eine Regierung einen Kapitaleigner durch eine Erklärung zum Investieren motivierte, dann aber ihre Erklärung verleugnet; präzisiert wird jetzt, in welcher Form, von welcher Stelle und mit wieviel Glaubwürdigkeit die Erklärung abgegeben sein muss. Und eine indirekte Enteignung soll dann vorliegen, wenn ein Kapitaleigner des Gebrauchs seiner Investition z.B. durch eine Regierungsmaßnahme beraubt wird, die offenkundig in einem Missverhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck steht; im Streitfall müsste der Investitionsgerichtshof entscheiden, ob die Regierung zweckrational gehandelt hat oder nicht.

5. Offenbar haben Sie, sehr geehrte Frau Dr. Brantner, und andere Verhandler gravierende Mängel von CETA erkannt, scheuten aber vor einer Neufassung des Abkommens zurück und zogen es vor, solche Mängel am Schluss der Interpretationserklärung zu benennen. So beschwört die Interpretationserklärung die Investoren und den Investitionsgerichtshof zu berücksichtigen, dass die Vertragsparteien sich mit dem Pariser Klimaabkommen zur Bekämpfung des Klimawandels mit geeigneten Maßnahmen verpflichtet haben. Welche rechtliche Wirkung kann denn ein solcher Appell der Vertragsparteien neben dem Vertragstext haben? Da die Vertragsbestimmungen fortbestehen, welche die Schadensersatzansprüche der Investoren begründen, wird das Gericht diesen Schadensersatznormen und ihrer Interpretation durch den Gemischten Ausschuss das ausschlaggebende Gewicht geben. Und in der Sache: es ist ja nicht nur das Klima, das die mit CETA verfolgte Politik gefährdet, sondern z. B. auch der Artenschutz und die Gesundheit der Menschen.

6. Sehr geehrte Frau Dr. Brantner, Sie kennen die Argumente, die viele Gruppen und Fachleute, vor allem Juristen, gegen CETA und zuletzt gegen seine Ratifizierung vorgebracht haben. Wir, die wir uns jahrelang mit CETA beschäftigt haben, fragen uns, ob es nicht so sehr auf die Argumente zur Sache ankommt, sondern mehr auf Kräfteverhältnisse im Raum der internationalen Politik und jetzt auf den Symbolwert von Ratifizierung oder Nichtratifizierung. Das ist der Aspekt von Politik, mit dem viele Bürger ihr Desinteresse an ihr oder ihre Resignation ihr gegenüber rechtfertigen – zum Nachteil der Demokratie.

Mit staatsbürgerlichen und kurpfälzischen Grüßen
Heidelberger Bündnis für gerechten Welthandel
i. A. Wilfried Kühn

24.09.2022 - 10:45